Viewing posts from: December 2021

Hinweisgebersystem – wieviel Prozent der Meldungen sind missbräuchlich?

Veröffentlicht in Allgemeines zum Thema Whistleblowing, Hinweisgeberschutz, Hinweisgebersysteme, Interne Meldestelle, Meldekanäle
01.03.22

Ein Hinweisgebersystem ist ein Instrument, um frühzeitig Fehlverhalten im Unternehmen oder der Dienststelle zu entdecken und Schaden zu verhindern bzw. zu minimieren. Aber dieses Instrument kann auch missbraucht werden. Die zentrale Frage ist somit, wie häufig das vorkommt. Sind bewusst falsche Meldungen bedauerliche Einzelfälle oder stellen sie doch einen hohen Prozentsatz der Meldungen dar? Antwort gibt eine empirische Untersuchung.

Definition

In einem vorherigen Blog hatten wir bereits definiert, was man unter Missbrauch versteht.

Der Missbrauch eines Hinweisgebersystems ist die bewusst falsche Meldung eines unterstellten Fehlverhaltens einer im Unternehmen oder der Dienststelle beschäftigten Person.

Nicht als Missbrauch zu werten sind hingegen

  • die Abgabe eines unwissentlich falschen Hinweises und
  • die Abgabe einer Meldung im falschen Meldekanal; so kommt es beispielsweise häufig vor, dass in einem Hinweisgebersystem fälschlicherweise Kundenbeschwerden abgegeben werden.

Die empirische Untersuchung

Dr. Martin Walter, geschäftsführender Gesellschafter der Hinweisgebersystem24 GmbH, hat als Lehrbeauftragter der TU Dresden eine empirische Untersuchung durchgeführt zum Thema „Missbrauch von Hinweisgebersystemen“. Diese ist 2021 publiziert worden in „Ruhmannseder/ Behr/ Krakow (Hrsg.), Hinweisgebersysteme“. Das Ergebnis der Untersuchung basiert auf den Antworten von 43 Unternehmen.

Das Ergebnis

Bei 84% der Hinweise liegt nach Aussage der teilnehmenden 43 Unternehmen mit Sicherheit kein Missbrauch vor. Bei 6% der Hinweise blieb bis zum Ende der Untersuchungen unklar, ob es sich um Missbrauch handelte. Als Kernaussage lässt sich somit festhalten:

Fast 90% aller Hinweise werden in guter Absicht abgegeben.

Dieser hohe Prozentsatz unterstreicht eindrucksvoll die Berechtigung und Bedeutung von Hinweisgebersystemen. Richtig eingesetzt leisten sie einen großen Beitrag zum frühzeitigen Erkennen von Fehlverhalten im Unternehmen oder der Dienststelle.

Gleichzeitig bedeutet das Ergebnis aber auch, dass rund 10% der Hinweise bewusst falsch abgegeben werden. Hieraus gilt es, einige Lehren zu ziehen:

  1. Den Mitarbeitenden muss durch geeignete Kommunikationsmaßnahmen deutlich gemacht werden, dass das Unternehmen oder die Dienststelle mit der Einrichtung eines Hinweisgebersystems einen Vertrauensvorschuss gibt, den es zu rechtfertigen gilt.
  2. Ebenso muss kommuniziert werden, dass der Missbrauch des Systems durch eine bewusste Falschmeldung ein schwerwiegender Complianceverstoß ist, der entsprechend sanktioniert wird.
  3. In Hinweisen beschuldigte Personen müssen bis zum Beweis des Gegenteils zwingend als unschuldig gelten. Die Meldung kann ja bewusst falsch sein oder in guter Absicht abgegeben worden sein, aber letztlich doch unzutreffend.

Zusammenfassung

Fast 90% aller Hinweise werden in guter Absicht abgegeben. Das Instrument „Hinweisgebersystem“ bewährt sich also. Aus der Tatsache, dass 10% der Meldungen bewusst falsch sind, müssen entsprechende Konsequenzen für die interne Kommunikation und das Fallmanagement gezogen werden.

 

Post by Martin Walter

Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.

Gilt das Hinweisgeberschutzgesetz schon?

Veröffentlicht in Allgemeines zum Thema Whistleblowing, Hinweisgeberschutz, Hinweisgebersysteme, Interne Meldestelle
01.02.22

Die EU Directive Whistleblowing ist in Kraft. Die Umsetzung in nationales Recht ist bisher nicht erfolgt. Welche Regelungen gelten denn nun? 

Während die EU Directive Whistleblowing seit 2019 in Kraft ist, ist die Umsetzung in nationales Recht in Deutschland bisher nicht erfolgt. Dies hätte eigentlich bis zum 17.12.2021 erfolgen müssen. Hieraus resultieren Rechtsunsicherheiten.

Der aktuelle Stand in Deutschland

Die große Koalition hat sich bis zum Ende der abgelaufenen Legislaturperiode nicht auf ein neues Hinweisgeberschutzgesetz einigen können. Eigentlich hätte die Umsetzung bis zum 17.12.2021 erfolgen müssen, dies gelang jedoch nicht. Zwar wurde vom SPD-geführten Justizministerium ein vieldiskutierter Referentenentwurf vorgelegt, nicht alle Passagen fanden jedoch die Zustimmung der CDU/ CSU.

Die neue Koalition hat sich im Koalitionsvertrag eindeutig zum Hinweisgeberschutz bekannt (Zitat):

„Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger wollen wir verbessern und prüfen dafür Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote.“

Es ist also nicht eine Frage des „ob“, sondern nur des „wann“, wann das neue Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft treten wird.

Wie ist die aktuelle rechtliche Situation zu beurteilen?

In der derzeitigen Situation stellt sich die Frage, ob zumindest Teile der EU Directive Whistleblowing in Deutschland unmittelbar gelten. Besonders wichtig ist die Frage, ob sich Hinweisgeber derzeit unmittelbar auf die EU-Richtlinie berufen können, wenn sie benachteiligt werden.

Europäische Richtlinien können nach Ablauf ihrer vorgegebenen Umsetzungsfrist – und dieser Fall ist ja jetzt eingetreten – auch ohne nationales Umsetzungsgesetz anwendbar sein. Dies gilt, wenn die Bestimmungen in der EU Directive so eindeutig sind, dass sie keiner weiteren Konkretisierung durch den nationalen Gesetzgeber bedürfen. Dann ist – jedenfalls im Verhältnis zwischen Bürger und Staat – von einer unmittelbaren Anwendbarkeit auszugehen, obwohl eigentlich nur die Mitgliedstaaten Adressaten der EU-Richtlinie sind. Betroffene Bürger können sich somit bei einschlägiger Verletzung ihrer Rechte gegenüber dem Staat auf die EU Directive berufen, auch wenn es keine Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht gegeben hat.

Stehen sich allerdings zwei private Parteien wie etwa Arbeitgeber und Arbeitnehmender gegenüber, so ist die unmittelbare Anwendbarkeit der EU-Richtlinie umstritten. Es spricht viel dafür, dass in diesem Fall der Pflicht für Unternehmen zur Einrichtung eines internen Meldekanals für Whistleblower gemäß der EU Directive Whistleblowing formal keine Direktwirkung zukommt, sich Betroffene/ Hinweisgeber vor Arbeitsgerichten aber bereits heute auf den durch die EU-Directive Whistleblowing normierten Schutz vor Repressalien berufen können. Dies gilt jedenfalls, soweit es in den Verfahren um Verstöße gegen EU-Recht geht.

Man kann eine gewisse Analogie zu den relativ neuen EUGH-Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung ziehen. Auch diese werden von Deutschen Arbeitsgerichten zur Grundlage ihrer Rechtsprechung gemacht, obwohl es weiterhin an einer nationalen gesetzlichen Umsetzung der Vorgaben fehlt.

Konsequenzen für Unternehmen und Dienststellen

In Anbetracht der Tatsache, dass das Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes in Deutschland mit großer Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr erfolgen wird und der existierenden Rechtsunsicherheit über eine unmittelbare Wirkung der EU Directive kann Unternehmen angeraten werden, die Implementierung eines Hinweisgebersystems nicht länger hinauszuschieben. Dies gilt noch mehr für Dienststellen, da für diese bereits heute von einer unmittelbaren Anwendbarkeit auszugehen ist.

Wenn Sie sich über dieses Thema weiter informieren möchten, hören Sie gerne unseren Podcast WHISTLEpedia. Er ist bei iTunes, Spotify, YouTube oder direkt hier auf der Seite kostenlos hörbar.

Post by Martin Walter

Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.