Sollen Whistleblower finanzielle Anreize erhalten? Diese Frage haben wir auch schon in diesem Blog diskutiert. Ende 2021 erhielt ein Hinweisgeber eine Prämie in Höhe von 24 Mio. $. Ist das gerechtfertigt?
Der Fall über den Whistleblower
Das Manager-Magazin berichtete im November 2021 über einen spektakulären Whistleblowing-Fall:
Der südkoreanische Ingenieur Kim Gwang-ho, der 26 Jahre lang beim Automobilherstellers Hyundai beschäftigt war, hatte die Aufsichtsbehörden bereits im Jahr 2016 darauf hingewiesen, dass der Konzern offenbar zu wenig gegen einen Motorfehler tue, der zu Unfällen führen könnte. Nun zahlt ihm die US-amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) mehr als 24 Millionen Dollar. Das ist die höchste Whistleblower-Prämie, die jemals in der Autoindustrie gezahlt wurde. Für die Behörde war es gleichwohl kein Verlustgeschäft: Hyundai musste eine Strafzahlung über mehr als 200 Mio. € leisten, da das Unternehmen es versäumt hatte, insgesamt mehr als 1,6 Millionen Fahrzeuge rechtzeitig zurückzurufen.
Die Motivation von dem Whistleblower
Der Ingenieur selbst hält den Betrag nicht für zu hoch. Er habe seitdem viel erlitten, seine Stelle aufgegeben sowie den Kontakt zu langjährigen Kollegen abgebrochen.
Mit dem Geld will er nun eine Stiftung zur Förderung einer verantwortungsvollen Firmenkultur gründen und mit einem YouTube-Kanal künftig Menschen beibringen, wie sie Fehlverhalten aufdecken können.
Die Beurteilung des Falls
Dass eine hinweisgebende Person aus einer Meldung von Fehlverhalten keine Nachteile erleiden darf, ist unumstritten. Diskussionswürdig bleibt jedoch, wie hoch die aus einer Meldung resultierenden finanziellen Vorteile sein dürfen. Die in diesem Fall gezahlte Prämie in Höhe von 24 Mio. $ ist höher, als es das gesamte kumulierte Einkommen des Ingenieurs in seinem Berufsleben gewesen wäre.
Für die Behörden ergeben sich aus diesem Vorgehen zwei Vorteile. Erstens resultiert aus dem Aufdecken des Fehlverhaltens ein hoher Gewinn, da die Strafzahlungen des Unternehmens die Whistleblower-Prämie deutlich übersteigen. Zweitens steigt die Wahrscheinlichkeit, dass in Anbetracht der hohen Prämie künftig vermehrt Fehlverhalten von Unternehmen gemeldet wird.
Aber es resultieren auch Nachteile aus diesem Vorgehen. So tut sich z.B. eine Kluft auf zwischen „Corporate Misconduct“ und Fraud. Für Hinweise auf Fälle, bei denen das Unternehmen oder die Dienststelle Täter sind, gibt es Prämien. Bei Fällen, bei denen das Unternehmen oder die Dienststelle Opfer sind, z.B. Fraud von mitarbeitenden Personen, wir es keine staatlichen Prämien geben. Prämien vom Unternehmen bzw. der Dienststelle könnten dieses Ungleichgewicht ausgleichen.
Insgesamt würde hierdurch jedoch der Eindruck entstehen, dass Whistleblowing ein Geschäft ist. Dies kann zu einer vorschnellen und weniger sorgfältigen Abgabe von Hinweisen führen. Das Risiko von Falschmeldungen dürfte somit steigen.
Zusammenfassung
Extrem hohe Prämien für Whistleblower fördern einerseits die Bereitschaft zur Meldung von Fehlverhalten des Unternehmens oder der Dienststelle. Ein nachfolgender Arbeitsplatzverlust oder andere potenzielle schwerwiegende Nachteile werden sozusagen „eingepreist“. Andererseits übersteigen derart extreme Prämien das Lebenseinkommen vieler im Unternehmen oder der Dienststelle beschäftigter Personen. In deren Augen wird das Hinweisgebersystem zu einem Instrument, mit dessen Hilfe man schnell reich werden kann. Der Anteil falscher Meldungen wird steigen.
Wenn Sie sich über dieses Thema weiter informieren möchten, hören Sie gerne unseren Podcast WHISTLEpedia. Er ist bei iTunes, Spotify, YouTube oder direkt hier auf der Seite kostenlos hörbar.
Stephan Rheinwald ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH und der Compliance Officer Services GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Hinweisgebersystem – mehr Anonymität, mehr Missbrauch?
Sollen Hinweise in einem Hinweisgebersystem auch anonym abgegeben werden können? Wohl kaum eine andere Frage wird im Zusammenhang mit Hinweisgebersystemen intensiver diskutiert. Aber was sind die Befürchtungen im Hinblick auf eine anonyme Hinweisabgabe und bestätigen sich diese Befürchtungen in der Praxis? Antwort hierauf gibt eine empirische Untersuchung.
Anonyme Hinweisabgabe
Nennt eine hinweisgebende Person bei der Hinweisabgabe nicht ihren Namen, so spricht man von anonymer Hinweisabgabe. Hauptgrund für eine anonyme Hinweisabgabe ist der Wunsch der hinweisgebenden Person sich nachfolgend „keinen Ärger einzuhandeln“, denn in vielen Fällen beinhaltet ein Hinweis auf Fehlverhalten ja konkrete Anschuldigungen gegen eine andere Mitarbeiterin oder einen anderen Mitarbeiter des Unternehmens oder der Dienststelle. Und leider kommt es ja mitunter vor, dass Whistleblower nach der Hinweisabgabe Nachteile erleiden müssen.
Andererseits wird anonymen Hinweisgebern mitunter unterstellt, dass häufig Falschmeldungen abgegeben werden. Denn wenn Wahres ausgesprochen wird, so die Unterstellung, kann man das ja ohne Furcht vor Repressalien offen unter Nennung des eigenen Namens tun.
Aber stimmt das eigentlich, dass anonyme Hinweise öfter falsch sind als offene?
Dr. Martin Walter, geschäftsführender Gesellschafter der Hinweisgebersystem24 GmbH, hat als Lehrbeauftragter der TU Dresden eine empirische Untersuchung durchgeführt zum Thema „Missbrauch von Hinweisgebersystemen“. Diese ist 2021 publiziert worden in „Ruhmannseder/ Behr/ Krakow (Hrsg.), Hinweisgebersysteme“. Das Ergebnis der Untersuchung basiert auf den Antworten von 43 Unternehmen.
Zunächst jedoch wird noch einmal der Begriff „Missbrauch eines Hinweisgebersystems“ definiert.
Definition
In vorherigen Blogs hatten wir bereits definiert, was man unter Missbrauch versteht.
Der Missbrauch eines Hinweisgebersystems ist die bewusst falsche Meldung eines unterstellten Fehlverhaltens einer im Unternehmen oder der Dienststelle beschäftigten Person.
Nicht als Missbrauch zu werten sind hingegen
die Abgabe eines unwissentlich falschen Hinweises und
die Abgabe einer Meldung im falschen Meldekanal; so kommt es beispielsweise häufig vor, dass in einem Hinweisgebersystem fälschlicherweise Kundenbeschwerden abgegeben werden.
Das Ergebnis
Die empirische Untersuchung kommt zu einem auf den ersten Blick überraschenden Ergebnis:
Sowohl bei anonymer als auch bei nicht-anonymer Hinweisabgabe liegt der Prozentsatz eindeutig nicht missbräuchlich abgegebener Hinweise identisch bei 84%.
Das oft vorhandene intuitive Gefühl, dass bei anonymen Hinweisen häufiger Missbrauch vorliegt, hat die empirische Untersuchung somit nicht bestätigt. Natürlich ist eine offene Hinweisabgabe aus unternehmenskultureller und ermittlungstechnischer Hinsicht wünschenswert, aber Unternehmen und Dienststellen sind in Anbetracht dieses Ergebnisses gut beraten, erstens auch anonyme Meldungen zuzulassen und diese zweitens genauso sorgfältig zu untersuchen und auszuwerten wie offene Hinweise.
Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Hinweisgeberschutz: Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
Bis zum 17.12.2021 hätte Deutschland ein Hinweisgeberschutzgesetz schaffen müssen durch das Hinweisgeber besser geschützt werden. Diese Frist ist verstrichen und inzwischen hat die EU-Kommission ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
Der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat bislang noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt. Der Entwurf werde „so schnell wie möglich“ kommen, teilte das Ministerium dem Handelsblatt auf Anfrage mit.
Lesen Sie zum Thema auch die Stellungnahme von Transparency International Deutschland:
Stephan Rheinwald ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH und der Compliance Officer Services GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Hinweisgebersystem – wieviel Prozent der Meldungen sind missbräuchlich?
Ein Hinweisgebersystem ist ein Instrument, um frühzeitig Fehlverhalten im Unternehmen oder der Dienststelle zu entdecken und Schaden zu verhindern bzw. zu minimieren. Aber dieses Instrument kann auch missbraucht werden. Die zentrale Frage ist somit, wie häufig das vorkommt. Sind bewusst falsche Meldungen bedauerliche Einzelfälle oder stellen sie doch einen hohen Prozentsatz der Meldungen dar? Antwort gibt eine empirische Untersuchung.
Definition
In einem vorherigen Blog hatten wir bereits definiert, was man unter Missbrauch versteht.
Der Missbrauch eines Hinweisgebersystems ist die bewusst falsche Meldung eines unterstellten Fehlverhaltens einer im Unternehmen oder der Dienststelle beschäftigten Person.
Nicht als Missbrauch zu werten sind hingegen
die Abgabe eines unwissentlich falschen Hinweises und
die Abgabe einer Meldung im falschen Meldekanal; so kommt es beispielsweise häufig vor, dass in einem Hinweisgebersystem fälschlicherweise Kundenbeschwerden abgegeben werden.
Die empirische Untersuchung
Dr. Martin Walter, geschäftsführender Gesellschafter der Hinweisgebersystem24 GmbH, hat als Lehrbeauftragter der TU Dresden eine empirische Untersuchung durchgeführt zum Thema „Missbrauch von Hinweisgebersystemen“. Diese ist 2021 publiziert worden in „Ruhmannseder/ Behr/ Krakow (Hrsg.), Hinweisgebersysteme“. Das Ergebnis der Untersuchung basiert auf den Antworten von 43 Unternehmen.
Das Ergebnis
Bei 84% der Hinweise liegt nach Aussage der teilnehmenden 43 Unternehmen mit Sicherheit kein Missbrauch vor. Bei 6% der Hinweise blieb bis zum Ende der Untersuchungen unklar, ob es sich um Missbrauch handelte. Als Kernaussage lässt sich somit festhalten:
Fast 90% aller Hinweise werden in guter Absicht abgegeben.
Dieser hohe Prozentsatz unterstreicht eindrucksvoll die Berechtigung und Bedeutung von Hinweisgebersystemen. Richtig eingesetzt leisten sie einen großen Beitrag zum frühzeitigen Erkennen von Fehlverhalten im Unternehmen oder der Dienststelle.
Gleichzeitig bedeutet das Ergebnis aber auch, dass rund 10% der Hinweise bewusst falsch abgegeben werden. Hieraus gilt es, einige Lehren zu ziehen:
Den Mitarbeitenden muss durch geeignete Kommunikationsmaßnahmen deutlich gemacht werden, dass das Unternehmen oder die Dienststelle mit der Einrichtung eines Hinweisgebersystems einen Vertrauensvorschuss gibt, den es zu rechtfertigen gilt.
Ebenso muss kommuniziert werden, dass der Missbrauch des Systems durch eine bewusste Falschmeldung ein schwerwiegender Complianceverstoß ist, der entsprechend sanktioniert wird.
In Hinweisen beschuldigte Personen müssen bis zum Beweis des Gegenteils zwingend als unschuldig gelten. Die Meldung kann ja bewusst falsch sein oder in guter Absicht abgegeben worden sein, aber letztlich doch unzutreffend.
Zusammenfassung
Fast 90% aller Hinweise werden in guter Absicht abgegeben. Das Instrument „Hinweisgebersystem“ bewährt sich also. Aus der Tatsache, dass 10% der Meldungen bewusst falsch sind, müssen entsprechende Konsequenzen für die interne Kommunikation und das Fallmanagement gezogen werden.
Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Ein Hinweisgebersystem ist ein Instrument, um frühzeitig Fehlverhalten im Unternehmen oder der Dienststelle zu entdecken und Schaden zu verhindern bzw. zu minimieren. Aber kann dieses Instrument nicht auch missbraucht werden? Diese Frage stellen sich viele Unternehmen und Dienststellen, die sich mit der Einführung eines Hinweisgebersystems befassen.
Definition und mögliche Gründe für einen Missbrauch von einem Hinweisgebersystem
Stellen wir zunächst die Frage, was man unter Missbrauch versteht.
Definition: Der Missbrauch eines Hinweisgebersystems ist die bewusst falsche Meldung eines unterstellten Fehlverhaltens einer im Unternehmen oder der Dienststelle beschäftigten Person.
Nicht als Missbrauch zu werten sind hingegen
die Abgabe eines unwissentlich falschen Hinweises und
die Abgabe einer Meldung im falschen Meldekanal; so kommt es beispielsweise häufig vor, dass in einem Hinweisgebersystem fälschlicherweise Kundenbeschwerden abgegeben werden.
Was können Gründe sein für einen Missbrauch eines Hinweisgebersystems? Die Gründe können höchst unterschiedlicher Art sein, etwa
die bewusste Schädigung der im Hinweis beschuldigten Person,
Langeweile am Arbeitsplatz,
die Schädigung eines Wettbewerbers – wenn ein Lieferant einen Hinweis abgibt,
die hinweisgebende Person will sich durch die Abgabe eines falschen Hinweises schützen – das Hinweisgeberschutzgesetz sieht im bisherigen Entwurf eine Beweislastumkehr vor bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung über Benachteiligungen einer hinweisgebenden Person nach der Hinweisabgabe.
Die Konsequenzen der Missbrauchsgefahr von einem Hinweisgebersystem
Die wichtigste Konsequenz für Unternehmen und Dienststellen ist sicherlich: Es gilt die Unschuldsvermutung! Da Hinweise wie dargestellt bewusst oder unbewusst falsch sein können, muss eine im Hinweis beschuldigte Person bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig gelten. Nichts ist für das Ansehen des Instruments „Whistleblowing“ schädlicher als die Benachteiligung einer Person, die sich im Nachhinein als unschuldig erweist.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang darüber hinaus eine geeignete interne Kommunikation, die einerseits die Mitarbeitenden darum bittet, nur zutreffende Hinweise abzugeben und andererseits aber auch unmissverständlich darauf hinweist, dass der Missbrauch eines Hinweisgebersystems selbst ein schwerwiegender Complianceverstoß ist und daher entsprechend sanktioniert wird.
Zusammenfassung
Ein Hinweisgebersystem kann aus unterschiedlichsten Gründen missbraucht werden. Wichtig ist daher die Beachtung der Unschuldsvermutung nach Eingang eines Hinweises und vorab – quasi zur Abschreckung – eine geeignete interne Kommunikation der nach einem Missbrauch drohenden Sanktionen.
Missbrauch von Hinweisgebersystemen kommt vor. Wie häufig bzw. wie selten dies geschieht, wird Thema eines der nächsten Blogbeiträge sein.
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Stephan Rheinwald ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH und der Compliance Officer Services GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Wozu brauche ich ein Hinweisgebersystem? Diese Frage stellen sich aktuell viele Unternehmen und Dienststellen. Gute Antworten gibt Dr. Michael Nuster, Gründer der Firma inecos in Wien.
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Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Die EU Directive Whistleblowing ist in Kraft. Die Umsetzung in nationales Recht ist bisher nicht erfolgt. Welche Regelungen gelten denn nun?
Während die EU Directive Whistleblowing seit 2019in Kraft ist, ist die Umsetzung in nationales Recht in Deutschland bisher nicht erfolgt. Dies hätte eigentlich bis zum 17.12.2021 erfolgen müssen. Hieraus resultieren Rechtsunsicherheiten.
Der aktuelle Stand in Deutschland
Die große Koalition hat sich bis zum Ende der abgelaufenen Legislaturperiode nicht auf ein neues Hinweisgeberschutzgesetz einigen können. Eigentlich hätte die Umsetzung bis zum 17.12.2021 erfolgen müssen, dies gelang jedoch nicht. Zwar wurde vom SPD-geführten Justizministerium ein vieldiskutierter Referentenentwurf vorgelegt, nicht alle Passagen fanden jedoch die Zustimmung der CDU/ CSU.
Die neue Koalition hat sich im Koalitionsvertrag eindeutig zum Hinweisgeberschutz bekannt (Zitat):
„Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger wollen wir verbessern und prüfen dafür Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote.“
Es ist also nicht eine Frage des „ob“, sondern nur des „wann“, wann das neue Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft treten wird.
Wie ist die aktuelle rechtliche Situation zu beurteilen?
In der derzeitigen Situation stellt sich die Frage, ob zumindest Teile der EU Directive Whistleblowing in Deutschland unmittelbar gelten. Besonders wichtig ist die Frage, ob sich Hinweisgeber derzeit unmittelbar auf die EU-Richtlinie berufen können, wenn sie benachteiligt werden.
Europäische Richtlinien können nach Ablauf ihrer vorgegebenen Umsetzungsfrist – und dieser Fall ist ja jetzt eingetreten – auch ohne nationales Umsetzungsgesetz anwendbar sein. Dies gilt, wenn die Bestimmungen in der EU Directive so eindeutig sind, dass sie keiner weiteren Konkretisierung durch den nationalen Gesetzgeber bedürfen. Dann ist – jedenfalls im Verhältnis zwischen Bürger und Staat – von einer unmittelbaren Anwendbarkeit auszugehen, obwohl eigentlich nur die Mitgliedstaaten Adressaten der EU-Richtlinie sind. Betroffene Bürger können sich somit bei einschlägiger Verletzung ihrer Rechte gegenüber dem Staat auf die EU Directive berufen, auch wenn es keine Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht gegeben hat.
Stehen sich allerdings zwei privateParteien wie etwa Arbeitgeber und Arbeitnehmender gegenüber, so ist die unmittelbare Anwendbarkeit der EU-Richtlinie umstritten. Es spricht viel dafür, dass in diesem Fall der Pflicht für Unternehmen zur Einrichtung eines internen Meldekanals für Whistleblower gemäß der EU Directive Whistleblowing formal keine Direktwirkung zukommt, sich Betroffene/ Hinweisgeber vor Arbeitsgerichten aber bereits heute auf den durch die EU-Directive Whistleblowing normierten Schutz vor Repressalien berufen können. Dies gilt jedenfalls, soweit es in den Verfahren um Verstöße gegen EU-Recht geht.
Man kann eine gewisse Analogie zu den relativ neuen EUGH-Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung ziehen. Auch diese werden von Deutschen Arbeitsgerichten zur Grundlage ihrer Rechtsprechung gemacht, obwohl es weiterhin an einer nationalen gesetzlichen Umsetzung der Vorgaben fehlt.
Konsequenzen für Unternehmen und Dienststellen
In Anbetracht der Tatsache, dass das Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes in Deutschland mit großer Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr erfolgen wird und der existierenden Rechtsunsicherheit über eine unmittelbare Wirkung der EU Directive kann Unternehmen angeraten werden, die Implementierung eines Hinweisgebersystems nicht länger hinauszuschieben. Dies gilt noch mehr für Dienststellen, da für diese bereits heute von einer unmittelbaren Anwendbarkeit auszugehen ist.
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Eine Hinweisgeberin erhält von der Deutschen Bahn die Kündigung. Wie ist das Verhalten des Konzerns zu beurteilen?
Dass mit dem neuen Hinweisgeberschutzgesetz das Thema „Whistleblowing“ zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses gerät, merkt man auch daran, dass die Anzahl der Medienberichte, die sich mit der Thematik befassen, steigt. Ein sehr interessantes Beispiel sind die Berichte der Financial Times und des Handelsblattes im November 2021 über die Kündigung einer Whistleblowerin durch die Deutsche Bahn.
Der Fall
Im Jahr 2016 hatten eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn einen Hinweis abgegeben, dass es im Zusammenhang mit dem Großprojekt Stuttgart 21 zu Korruption gekommen sei. Konkret warfen die Hinweisgeber laut Financial Times hochrangigen Managern überflüssige Aufträge vor und sie vermuteten, dass diese dafür Gegenleistungen erhalten hatten. Die Kosten von Stuttgart 21 werden mittlerweile auf über 8 Mrd. € geschätzt. Ursprünglich waren 2,5 Mrd. € veranschlagt
Der Hinweis ist von der Konzernsicherheit der Deutschen Bahn untersucht worden. Der Fall ist nicht an die Staatsanwaltschaft übergeben worden.
Die Hinweisgeberin ist nachfolgend gekündigt worden. Ein Arbeitsgericht in Stuttgart hat die Kündigung als rechtens beurteilt
Wie ist das Verhalten der Deutschen Bahn zu beurteilen?
Auf der Basis der aus der Presse zu entnehmenden Informationen ist das Verhalten der Deutschen Bahn nicht zu beanstanden.
Der Hinweis wurde aufgegriffen und es gab eine mehr als einjährige interne Untersuchung durch die Konzernsicherheit. Die Kündigung der Hinweisgeberin wurde durch das Arbeitsgericht Stuttgart bestätigt. Dieses konnte keinen Zusammenhang zwischen der Kündigung und der Hinweisabgabe feststellen.
Auch, dass die Deutsche Bahn den Fall nicht an die Staatsanwaltschaft übergeben hat, ist ohne weitere Kenntnisse nicht zu beanstanden. Erstens gibt es hierzu keine gesetzliche Verpflichtung und zweitens wäre diese Meldung ja substanzlos, falls die internen Untersuchungen den Hinweis nicht bestätigt haben.
Der Fall im Lichte des neuen Hinweisgeberschutzgesetzes
Interessant ist eine Betrachtung des Falls im Lichte des im Referentenentwurf vorliegenden Hinweisgeberschutzgesetzes. Dort ist nämlich in § 35 (2) eine Beweislastumkehr vorgesehen. Wörtlich heißt es:
„Erleidet eine hinweisgebende Person nach einer Meldung oder Offenlegung eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit, so wir vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie ist. In diesem Fall hat die Person, die die hinweisgebende Person benachteiligt, zu beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruht.“
Ob das Arbeitsgericht Stuttgart zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, falls das Gesetz zum Zeitpunkt des Urteils schon in Kraft gewesen wäre, kann hier natürlich nicht beurteilt werden. Sicher ist jedoch, dass es für Unternehmen deutlich schwerer werden wird Mitarbeiter zu sanktionieren, die einen Hinweis abgegeben haben.
In der weit überwiegenden Anzahl von Fällen ist es gut und richtig, dass Repressalien deutlich erschwert werden. Das ist ja gerade die Zielsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes.
Allerdings muss man auch das inhärente Missbrauchspotenzial der Beweislastumkehr zur Kenntnis nehmen. Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, die z.B. durch dauerhafte Schlechtleistung oder Nicht-Erscheinen am Arbeitsplatz von der Kündigung bedroht ist, kann durch Abgabe eines frei erfundenen Hinweises hohe Hürden für die Kündigung aufbauen. Daher ist, wenn das Hinweisgeberschutzgesetz in der vorliegenden Form verabschiedet werden sollte, allen Unternehmen und Dienststellen anzuraten, die Kündigungsgründe bzw. die Gründe für andere Sanktionen sehr genau zu dokumentieren, um sie in einem etwaigen Gerichtsprozess vortragen zu können.
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Whistleblowing – Hinweisgeberschutz und Datenschutz
Die Vertraulichkeit der Identität hinweisgebender Personen einerseits und personenbezogene Daten andererseits: beide werden geschützt. Aber passt das überhaupt zusammen?
Grundsätzliche datenschutzrechtliche Überlegungen bei der Einführung eines Hinweisgebersystems
Schon lange ist darüber diskutiert worden, ob Hinweisgebersysteme mit dem geltenden Datenschutzrecht kompatibel sind. In letzterem gilt nämlich ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, d.h., dass personenbezogene Daten nur dann verarbeitet werden dürfen, wenn hierfür eine Rechtsgrundlage besteht.
So ist eine Verarbeitung u.a. dann rechtmäßig, wenn
eine Einwilligung der betroffenen Person vorliegt,
die Verarbeitung zur Vertragserfüllung notwendig ist,
die Verarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung notwendig ist ODER
wenn die Verarbeitung zur Wahrung des berechtigten Interesses des Datenverarbeiters oder eines Dritten notwendig ist – sofern nicht die berechtigten Interessen der betroffenen Person überwiegen.
Bisher wird als rechtliche Grundlage in der Regel das berechtigte Interesse des Unternehmens an der Kenntnis von Fehlverhalten angeführt. Durch die o.a. Einschränkung – sofern nicht die berechtigten Interessen der betroffenen Person überwiegen – verbleibt jedoch immer eine Rechtsunsicherheit.
Nach Einführung des neuen Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) wird die Rechtslage eindeutig sein. § 12 beinhaltet die Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle. Nach § 10 sind Meldestellen zudem explizit befugt, personenbezogene Daten zu verarbeiten, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist.
Die Verarbeitung personenbezogener Daten in einem Hinweisgebersystem ist künftig also rechtlich verpflichtend und somit eindeutig rechtmäßig. Allerdings besteht die Informationspflicht gegenüber betroffenen Personen, also gegenüber den Personen, deren Daten im System verarbeitet werden, weiter. Näher zu betrachten bleibt somit weiterhin das Verhältnis von Vertraulichkeit des Hinweisgebers zu dieser Informationspflicht gegenüber den betroffenen Personen.
Das Vertraulichkeitsgebot im Hinweisgeberschutzgesetz
Einer der wichtigsten Punkte des im Referentenentwurf vorliegenden Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) ist das Vertraulichkeitsgebot in § 8. Hiernach muss die Vertraulichkeit der Identität der folgenden Personen gewahrt werden:
der hinweisgebenden Person
der Personen, die Gegenstand einer Meldung sind und
der sonstigen in der Meldung genannten Personen.
Die Wahrung der Vertraulichkeit ist deshalb so wichtig, weil sich die hinweisgebende Person darauf verlassen können muss, dass ihr aus der Hinweisabgabe kein Schaden entsteht, in dem sie sich z.B. Anfeindungen durch die in der Meldung genannten Personen ausgesetzt sieht. Bestehen Zweifel an der Wahrung der Vertraulichkeit, wird einen Meldung mit hoher Wahrscheinlichkeit erst gar nicht abgegeben oder aber anonym.
Daher gibt es im HinSchG nur eng begrenzte Ausnahmen vom Vertraulichkeitsgebot. Die Identität der hinweisgebenden Person darf lt. § 9 weitergegeben werden
auf Verlangen von Strafverfolgungsbehörden,
auf Grund einer Anordnung in einem Verwaltungsverfahren oder einer gerichtlichen Entscheidung.
Informationspflicht nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)
In Art. 14 der DSGVO ist geregelt, dass eine betroffene Person – in diesem Zusammenhang insbesondere die Person, die Gegenstand einer Meldung ist – spätestens nach einem Monat über den Inhalt der Meldung und die Quelle der Daten zu informieren ist.
Diese Informationspflicht lt. DSGVO steht ganz offensichtlich im Widerspruch zum Vertraulichkeitsgebot des Hinweisgeberschutzgesetzes.
Dieser Konflikt wird jedoch größtenteils aufgelöst durch §29 Abs.1 des Bundesdatenschutzgesetzes:
Die Pflicht zur Information der betroffenen Person gemäß Artikel 14 Absatz 1 bis 4 der Verordnung (EU) 679/2016 besteht ergänzend zu den in Artikel 14 Absatz 5 der Verordnung (EU) 679/2016 genannten Ausnahmen nicht, soweit durch ihre Erfüllung Informationen offenbart würden, die ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen.
Unter die im BDGS genannten berechtigten Interessen eines Dritten fällt das Interesse der hinweisgebenden Person an der Vertraulichkeit seiner Identität. Allerdings bleibt unklar, ob in jedem Einzelfall eine Interessenabwägung mit den Interessen des Betroffenen vorgenommen werden muss. Somit verbleiben Restzweifel, dass die Vertraulichkeit in jedem Fall gewährleistet werden kann. Ein dem Hinweisgeber zugesagter Schutz der Vertraulichkeit seiner Identität ist jedoch bei einer ggfs. vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen und erhöht das Schutzniveau des Hinweisgebers.
Im Falle bewusst oder grob fahrlässig falscher Meldungen auf Fehlverhalten entfällt selbstverständlich der Schutz der Vertraulichkeit des Hinweisgebers.
Datenlöschung
Personenbezogene Daten sind zu löschen, wenn sie für den jeweiligen Zweck nicht mehr erforderlich sind. Das gilt auch für die Daten in einem Hinweisgebersystem.
Ist eine Untersuchung vollständig abgeschlossen und werden die Daten nicht mehr für weitere rechtliche Schritte, wie z.B. ein gerichtliches Verfahren oder eine arbeitsrechtliche Kündigung, benötigt, sind sie innerhalb von zwei Monaten zu löschen.
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Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Nach einem aufregenden Jahr haben wir zahlreiche Wünsche für 2022.
An erster Stelle wünschen wir uns, dass möglichst bald im kommenden Jahr das neue Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet wird. Wie wir an vielen Beispiel sehen mussten: Hinweisgeberschutz ist wichtig!
Ebenfalls auf dem Wunschzettel steht, dass Personen, die Fehlverhalten beobachten, den Mut finden dies auch zu melden. Das wird umso häufiger vorkommen, je besser das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) sein wird.
Wir wünschen uns weiter, dass in 2022 keine oder doch zumindest möglichst wenige Hinweise mit bewusst falschem Inhalt abgegeben werden. Jeder einzelne Fall schadet dem Vertrauen in die Nützlichkeit des Instruments Hinweisgebersystem.
Und zuletzt der wichtigste Wunsch: die Geschäftsführung der Hinweisgebersystem24, Stephan Rheinwald und Martin Walter, bedankt sich für Ihre Treue und wünscht frohe Feiertage, einen guten Rutsch und alles Gute im kommenden Jahr!
Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
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