Selten hat eine Whistleblowerin in so kurzer Zeit einen so hohen Bekanntheitsgrad erreicht wie Frances Haugen. Sie hatte diverse Praktiken bei Facebook angeprangert, insbesondere, dass das Unternehmen interne Hinweise auf für Nutzer schädliche Entwicklungen bewusst ignoriert habe. In unserem Blogbeitrag vom 8. Oktober 2021 hatten wir bereits darüber berichtet.
Lesen Sie hier in einem Artikel der NZZ vom 4.11.2021, wie sich Frances Haugen nach der Hinweisabgabe fühlt und wovon sie lebt, nachdem sie Facebook verlassen hat. Die Lektüre hilft zu verstehen, warum Hinweisgeberschutz wichtig ist.
Post by Stephan Rheinwald
Stephan Rheinwald ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH und der Compliance Officer Services GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Nicht alle hinweisgebenden Personen sind gleich. Vom integren Whistleblower, der uneigennützig auf Fehlverhalten hinweist bis hin zu bewusst falschen Meldungen: Auch wenn statistisch gesehen die weit überwiegende Anzahl der Hinweise in gutem Glauben abgegeben werden, alles kommt vor! Wie kann ein Unternehmen oder eine Dienststelle mit dieser Situation umgehen?
Geht ein offener oder anonymer Hinweis bei der internen Meldestelle ein, ist zunächst unklar, ob auf Fehlverhalten hingewiesen werden soll oder ob der Whistleblower eine ganz eigene Agenda verfolgt. Es ist die erste Hauptaufgabe der nachfolgenden internen Untersuchung herauszufinden, ob der Hinweis wirklich stichhaltig ist. Ein wesentlicher Einflussfaktor dabei ist die Frage nach der Motivation des Whistleblowers. Dieser Aspekt soll nachfolgend näher betrachtet werden.
Auf Fehlverhalten aufmerksam machen
Wie sieht der Idealfall einer Hinweisabgabe und der nachfolgenden Hinweisbearbeitung aus?
Ein integrer Mitarbeiter oder eine integre Mitarbeiterin erkennen compliancerelevantes Fehlverhalten im Unternehmen bzw. der Dienststelle. Er bzw. sie wendet sich persönlich an den Vorgesetzten und weist uneigennützig auf das Fehlverhalten hin. Dieser ergreift daraufhin umgehen alle erforderlichen korrektiven Maßnahmen.
So verstanden wird ein Hinweisgebersystem zu einem Instrument der Fehlerfrüherkennung und Produktivitätssteigerung. Voraussetzung hierfür ist aber eine entsprechende Unternehmenskultur, in der Hinweise geschätzt und nicht als Denunziantentum abgetan werden.
Leider fällt nicht jeder in gutem Glauben abgegebene Hinweis auf derart fruchtbaren Boden. Das kann dann entweder daran liegen, dass die entsprechende Unternehmenskultur nicht vorhanden ist, dass die Kompetenz im Umgang mit Hinweisen nicht vorhanden ist oder dass Personen in die Hinweisbearbeitung involviert sind, die durch den Hinweis selbst belastet werden und folglich an der Aufklärung keinerlei Interesse haben. Im schlimmsten Fall werden sie dem Whistleblower sogar schaden.
Um dies zu verhindern, wird demnächst im Einklang mit einer bereits verabschiedeten EU-Directive in Deutschland ein Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet werden, das anonyme Hinweisabgabe erlaubt und Repressalien gegen Hinweisgeber sanktioniert.
Ein bekanntes Beispiel für einen integren Hinweisgeber in einer nicht-integren Organisation stellt Pav Gill in der Wirecard AG dar, dessen Fall wir in unseren Blogs bereits mehrmals thematisiert haben.
Eigene Vorteile sichern
Etwas anders stellt sich die Situation dar, wenn die hinweisgebende Person zutreffend auf Fehlverhalten im Unternehmen bzw. der Dienststelle hinweist, aber dies nicht uneigennützig tut, sondern einen materiellen Vorteil, z.B. in Form von Geld oder eines beruflichen Aufstiegs erwartet.
In diesem Fall muss seitens der Organisation die schwierige Entscheidung getroffen werden, ob auf die Forderungen eingegangen werden soll. Einflussfaktoren auf diese Entscheidung sind die Höhe des durch die Hinweisabgabe künftig vermeidbaren Schadens, das Ausmaß des Schadens, den der Whistleblower gegebenenfalls erlitten hat, sowie die Überlegung, ob man einen Präzedenzfall schaffen oder im Gegenteil vermeiden will.
Beispielhaft hierfür sei an dieser Stelle der Fall Inan Koc erwähnt, eines ehemaligen Vertriebsleiters mehrerer Vodafone-Partnershops, über den im September 2021 der Spiegel berichtete. Koc informierte Vodafone über Fraud in den Partnershops sowie über Sicherheitslücken in den konzerneigenen IT-Systemen. Koc verlangte von Vodafone 900t Euro netto sowie eine Beratertätigkeit. Vodafone bot Koc 200t Euro an, dieser lehnte ab. Seitdem streitet man sich vor Gericht.
Anderen Schaden
Zum Glück kommt selten der Fall vor, dass die hinweisgebende Person unlauter handelt und bewusst einen falschen Hinweis abgibt, um einer dritten Person zu schaden. Die Motive hierfür können vielfältig sein: Ein privater Konflikt, eine berufliche Konkurrenzsituation oder auch der Versuch, von eigenem Fehlverhalten abzulenken.
Das Unternehmen oder die Dienststelle muss unmissverständlich klarstellen, dass eine bewusst falsche Hinweisabgabe ein schwerwiegendes Fehlverhalten darstellt und dementsprechend sanktioniert wird. In diesem Sinne ist in § 37 des Referentenentwurfs zum Hinweisgeberschutzgesetz geregelt, dass die hinweisgebende Person zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist.
Die allermeisten Hinweise auf Fehlverhalten werden in lauterer Absicht abgegeben und helfen, Schaden zu begrenzen und künftigen Schaden zu vermeiden. Aber es kommt eben auch vor, dass eine hinweisgebende Person bewusst eine Falschmeldung abgibt oder dass materielle Interessen der Hauptgrund für die Hinweisabgabe sind.
Daher muss das Unternehmen oder die Dienststelle bis zum Beweis des Gegenteils für beschuldigte Personen die Unschuldsvermutung gelten lassen, deutlich kommunizieren, dass eine bewusst falsche Meldung sanktioniert wird und im Fall materieller Interessen der hinweisgebenden Person im Einzelfall entscheiden, wie auf die entsprechenden Forderungen eingegangen werden soll.
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Stephan Rheinwald ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH und der Compliance Officer Services GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Warum Hinweisgeberschutz wichtig ist – Die Lehren aus dem Fall Wirecard
Pav Gill heißt der Whistleblower, der die Aufdeckung des größten deutschen Finanzskandals „Wirecard“ in Gang setzte. Geschützt hat ihn niemand und selbst auf ein „Dankeschön“ aus Deutschland wartet er bis heute.
Selten hat man die Möglichkeit, die Motivation eines Whistleblowers und die aus der Hinweisabgabe resultierenden Konsequenzen im Detail nachzuvollziehen. Die Zeitschrift „CompliancePraxis“ hat in der Ausgabe 3/ 2021 ein Interview mit Pav Gill veröffentlicht, das diese Einblicke ermöglicht.
Die Ausgangslage
Pav Gil war Senior Legal Counsel für elf Länder in der Region Asia Pacific. In dieser Funktion sprach ihn eine Mitarbeiterin des Finanzbereichs in Singapur an und berichtete, dass sie vom Unternehmen gezwungen worden sei, illegal zu handeln. Pav Gill wahrte die Anonymität der Hinweisgeberin und gab den Hinweis an einen Mitarbeiter des zentralen Compliance Office in Deutschland weiter. Mit dessen Genehmigung setze er eine forensische Untersuchung in Gang, die deutliche Hinweise auf Fehlverhalten und kriminelle Handlungen einzelner Mitarbeiter ergab.
Das Verhalten des Unternehmens Wirecard
Der forensische Bericht gelangte schließlich in den Wirecard-Vorstand. Das Vorstandsmitglied Marsalek – wie sich hinterher herausstellen sollte, einer der Haupttäter – übernahm persönlich den Fall. Die Untersuchung wurde kurzfristig beendet und Gill wurde gezwungen das Unternehmen zu verlassen.
Die Konsequenzen für den Whistleblower
Nicht nur, dass Gill seinen Job verloren hatte: Wirecard versucht danach, ihn persönlich zu diskreditieren, um ihm die Aufnahme einer neuen Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber unmöglich zu machen.
In dieser schwierigen Situation wandte sich Pav Gills Mutter – also nicht er selbst – an die Presse. Ihr eigentliches Ziel war es, die Rufschädigung ihres Sohnes zu beenden. Die nachfolgenden Gespräche mit der Financial Times führte dann natürlich Pav Gill selbst.
Warum ein Hinweisgeberschutzgesetz zwingend erforderlich ist
Der Fall Wirecard stellt aus Sicht eines Whistleblowers den Worst-Case dar: Der Haupttäter übernimmt die Leitung der Untersuchung und schädigt nachfolgend massiv den Hinweisgeber. Hier wird deutlich, welche Bedeutung dem Hinweisgeberschutz zukommt.
Das Hinweisgeberschutzgesetz, das in einem Referentenentwurf vorliegt, sieht daher in §35 ein Verbot von Repressalien vor, verbunden mit einer Beweislastumkehr im nachfolgenden Streitfall. Mit anderen Worten: Erleidet eine hinweisgebende Person eine berufliche Benachteiligung, muss das Unternehmen bzw. die Dienststelle beweisen, dass die Benachteiligung nicht auf der Meldung oder der Offenlegung beruht. §36 sieht vor, dass der hinweisgebenden Person der resultierende Schaden zu ersetzen ist. Darüber hinaus kann eine Geldbuße bis zu hunderttausend Euro verhängt werden. Allerdings macht der Fall Wirecard auch deutlich, dass diese im Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz angedachte Maximalhöhe der Geldbuße viel zu niedrig angesetzt ist.
Das Verhalten der deutschen Behörden
Der Bericht der Financial Times wurde auch der BaFin zugeleitet, die jedoch nur eine Untersuchung gegen den Reporter der Financial Times wegen versuchter Aktienkursmanipulation einleitete. Lassen wir zum Schluss mit einem Zitat aus dem Interview Pav Gill selbst zu Wort kommen:
„It´s a very odd situation. You have someone, who has helped to expose our country`s biggest ever fraud, but the country itself has not said: „We want to protect (or even thank) you, because you helped us out.“
Weitere Blogbeiträge über bekannte Whistleblower-Fälle finden Sie hier.
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Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Frances Haugen war bis zum Frühjahr 2021 zwei Jahre lang Mitarbeiterin von Facebook, gab danach Informationen an das Wall Street Journal und erhebt jetzt in einer Anhörung im amerikanischen Senat schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen.
Konkret wirft die Whistleblowerin Haugen Facebook vor, dass das Unternehmen genau wisse, welche nachteiligen Auswirkungen die Plattform insbesondere auf die Sicherheit von Kindern und auf die Verbreitung von Hassbotschaften habe. Facebook unternehme aber zu wenig, um die mit seinen Plattformen verbundenen Gefahren zu beseitigen. Vielmehr stelle das Unternehmen Profit über Transparenz.
Von der Politik fordert die Whistleblowerin eine Regulierung, die das Unternehmen zu höherer Transparenz zwingen würde. So sollten z.B. unternehmensexterne Wissenschaftler vollständigen Zugang zu relevanten Facebook-Daten bekommen.
Nicht nur aufgrund seiner enormen politischen Bedeutung ist dieser Fall von großer Relevanz. Er wird darüber hinaus auch für die rechtliche Ausgestaltung des Hinweisgeberschutzes wichtig werden, da offensichtlich zentrale Fragen zu den Themenfeldern interne Meldung vs. Offenlegung, Repressalien gegen Whistleblower und auch Belohnung von Whistleblowern berührt werden.
Post by Martin Walter
Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Hinweisgebersysteme: Vorwürfe gegen das Top-Management
Hinweisgebersystem: Auch gegen ein Mitglied des Top-Management des Unternehmens oder der Dienststelle kann ein Vorwurf bei der internen Meldestelle eingehen. Was sollte dann getan werden?
Fehlverhalten kommt auf jeder Hierarchieebene vor. Daher gehen auch gegen Mitglieder des Top-Managements Hinweise bei einem Hinweisgebersystem ein. Somit muss sichergestellt werden, dass trotz der hierarchisch herausgehobenen Position des bzw. der Beschuldigten eine unabhängige und objektive Behandlung des Falles erfolgt. Erläutert werden soll dies anhand eines konkreten Beispiels.
Der Fall des MAN-Chefs
In Ihrer Ausgabe vom 21. August 2021 thematisiert die Zeitung Die Welt den Fall des MAN-Chefs Andreas Tostmann.
Die Tageszeitung berichtet, dass vor zwei Jahren ein anonymer Hinweis bei der Compliance-Abteilung von VW, der Muttergesellschaft von MAN eingegangen sei, in dem der Manager beschuldigt worden ist, die Firmenflotte in unzulässigerweise für Flüge mit privatem Charakter genutzt zu haben. Auch seine jetzige Ehefrau sei mitgeflogen. Die interne Untersuchung des Falles erfolgte durch das zentrale Aufklärungsoffice von VW.
Tostmann, damals noch nicht MAN-Chef, habe sich danach vor dem Disziplinarausschuss von VW verantworten müssen, ein Gremium, dass sich mit Regelverstößen von Top-Managern befasst. Er habe Reue gezeigt, seinen Fehler eingesehen und eine Strafzahlung im mittleren sechsstelligen Bereich akzeptiert. Dies erfolgte im Einklang mit dem internen Bußgeldkatalog von VW, der bei Regelverstößen die Rückerstattung von Bonuszahlungen vorsieht.
Vor einem Jahr ist Tostmann dann zum MAN-Chef befördert worden.
Hinweisgebersystem: Best Practice beim Umgang mit Hinweisen gegen das Top-Management
Aus dem MAN-Fall lassen sich einige Lehren ziehen:
Bei VW scheint es einen klar geregelten Prozess zu geben, wie vorzugehen ist, wenn ein Hinweis gegen ein Mitglied des Top-Managements eingeht. Es ist wichtig, dass dieser Prozess „in Ruhe“ im Vorfeld konkreter Hinweise geregelt wird und nicht erst nach dem Eingang eines derartigen Hinweises. Das zeigt dann, dass das Vorgehen neutral und objektiv erfolgt und nicht angepasst an die Person des Beschuldigten.
Anonymen Hinweisen wird nachgegangen, auch im Umfeld des Top-Managements. Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie sinnvoll dies ist.
Die Ermittlungen erfolgen zentral. Der Beschuldigte hat auf das konkrete Vorgehen keinen Einfluss.
Sanktionen werden verhängt durch ein Gremium, dem der Beschuldigte nicht angehört und auf das er keinen Einfluss hat.
Die Höhe der Sanktion ermittelt sich aus einem vorab personenunabhängig festgelegten Bußgeldkatalog.
Ein Fehlverhalten führt nicht zum Ende der Karriere, wenn die Sanktion akzeptiert wird und glaubhaft Reue gezeigt wird. Dies gilt natürlich nicht, wenn nachfolgend weiteres Fehlverhalten durch die beschuldigte Person vorkommt.
Zusammenfassung
Hinweise gegen das Top-Management eines Unternehmens oder die Leitung einer Dienststelle sind besonders sensibel. Hier ist es von besonderer Bedeutung, dass Aufklärung und Sanktionierung unabhängig von der beschuldigten Person neutral und objektiv nach vorab festgelegten Regelungen erfolgen. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass nicht der Eindruck entsteht, dass mit zweierlei Maß gemessen wird im Sinne: „Die Kleinen fängt man und die Großen lässt man laufen“.
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Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Whistleblowing im Konzern: Eine zentrale Stelle ist zu wenig!
Im Juni gab die EU-Kommission zwei Stellungnahme ab, in denen es heißt, dass ein rein zentrales Hinweisgebersystem im Konzern nicht ausreicht. Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeiter sind daher verpflichtet ein eigenes dezentrales Hinweisgebersystem einzurichten. Was das für die Unternehmen zur Folge hat und welche Umstrukturierungen auf sie zukommen werden, wird in einem Blogbeitrag der Kanzlei CMS von Partner Florian Block und Associate Pia Kremer erläutert.
Die EU-Kommission äußert sich zu Hinweisgebersystemen in Konzernen. Ein zentrales Meldesystem wird künftig vielfach nicht mehr ausreichen.
Erstmalig seit Verabschiedung der EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Richtlinie (EU) 2019/1937), hat sich die EU-Kommission (Kommission) in zwei kürzlich bekannt gewordenen Stellungnahmen (am 2.Juni und am 29. Juni 2021) zu Wort gemeldet und Auslegungshinweise zur Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie gegeben. Den Stellungnahmen waren Anfragen verschiedener Großkonzerne vorausgegangen.
Die von der Kommission nun vorgegebenen Anforderungen dürften sich in der Praxis vielfach nur mit erheblichem Aufwand umsetzen lassen – vor allem in Unternehmen mit größeren Tochtergesellschaften.
Klare Absage an rein zentrale Hinweisgebersysteme im Konzern
Gerade in weltweit tätigen Großunternehmen sind Hinweisgebersysteme schon heute vergleichsweise verbreitet. Dabei ist es gängige Praxis, dass eine zentrale oder mehrere regionale Meldestellen eingerichtet werden, die Hinweise auf mögliche Compliance-Verstöße entgegennehmen. Häufig werden diese Meldungen durch eine zentrale Stelle – nicht selten die Compliance-Abteilung – bearbeitet und etwaige Aufklärungsmaßnahmen von dort koordiniert.
Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Die zentrale Bearbeitung führt zu Erfahrungs- und Effizienzgewinnen, die regelmäßig knappen personellen Ressourcen werden geschont und die Compliance-Abteilung erhält einen Überblick über mögliche Gesetzesverstöße im gesamten Konzern oder Schwachstellen in der Compliance-Organisation.
Diese Art der Organisation des Whistleblowings dürfte jedoch künftig nicht mehr ausreichen. Denn ein zentral organisiertes, konzernweites Hinweisgebersystem soll nach Auffassung der Kommission den Anforderungen der Hinweisgeberrichtlinie nicht genügen. Die Kommission findet deutliche Worte in Bezug auf Hinweisgebersysteme, bei denen sowohl Melde- als auch Untersuchungsstelle bei einer zentralen Einheit im Konzern angesiedelt sind. Ein solches System sei „contra legem″ – jede Gesellschaft, die mehr als 50 Mitarbeiter beschäftige, sei nach Art. 8 Abs. 3 der Hinweisgeberrichtlinie verpflichtet, ein eigenes Hinweisgebersystem einzurichten. Dies gelte für eigenständige Gesellschaften ebenso wie für Konzerngesellschaften und unabhängig davon, ob bereits ein konzernweites Hinweisgebersystem bestehe. Die Hinweisgeberrichtlinie lasse hier keinen Raum für Interpretationen.
Immerhin stellt die Kommission klar, dass ein bereits bestehendes zentrales Hinweisgebersystem selbstverständlich weiterhin parallel betrieben werden kann. Es sei dann die Entscheidung des Hinweisgebers, ob er sich an die dezentrale Stelle in „seiner″ eigenen Tochtergesellschaft oder an das zentrale System wenden wolle. Durch eine gezielte Informationspolitik könne das Unternehmen versuchen, die Akzeptanz des bestehenden zentralen Systems zu stärken und somit darauf hinwirken, dass dieses System bevorzugt genutzt werde. Notwendig sei aber in jedem Fall, dass dem Hinweisgeber neben dem zentralen auch ein dezentrales Hinweisgebersystem offen stehe.
Erleichterungen für mittelgroße (Tochter-) Gesellschaften
Die Kommission zeigt immerhin auf, dass auch im Konzernverbund für mittelgroße (Tochter-)Gesellschaften mit 50 bis 249 Mitarbeitern gewisse Erleichterungen gelten sollen.
So sieht Art. 8 Abs. 6 der Hinweisgeberrichtlinie vor, dass sich mittelgroße Gesellschaften zum Betrieb eines gemeinsamen Hinweisgebersystems zusammentun und Kapazitäten sowohl für die Entgegennahme von Meldungen als auch für anschließende Untersuchungsmaßnahmen teilen können; dies soll auch für konzernangehörige Gesellschaften gelten. Jedenfalls für Tochtergesellschaften mit weniger als 250 Mitarbeitern steht daher die Möglichkeit offen, ein regionales Hinweisgebersystem aufzubauen, bei welcher eine (Tochter-)Gesellschaft für mehrere Gesellschaften als Melde- und Untersuchungsstelle fungiert.
Die Kommission legt Art. 8 Abs. 6 der Hinweisgeberrichtlinie außerdem dergestalt aus, dass mittelgroße (Tochter-)Gesellschaften unter bestimmten Bedingungen auch auf die zentrale Untersuchungsstelle des Konzerns zurückgreifen können und keine eigene Untersuchung durchführen müssen. Voraussetzung hierfür soll jedoch sein, dass diese Tochtergesellschaften gleichwohl eigene Meldekanäle anbieten, den Hinweisgeber über die Abgabe der Untersuchung an die zentrale Stelle informieren, dieser damit einverstanden ist und dass Folgemaßnahmen und Rückfragen gegenüber dem Hinweisgeber ausschließlich auf Ebene der Tochtergesellschaft erfolgen. Verweigert der Hinweisgeber sein Einverständnis mit der Abgabe der Untersuchung, so muss die Meldung auf Ebene der Tochtergesellschaft untersucht werden. Die Kommission stellt jedoch klar, dass in diesem Fall zumindest das Ergebnis der Untersuchung konzernintern mitgeteilt werden darf.
Große Konzerntöchter müssen eigenes Hinweisgebersystem einrichten
Für große (Tochter-)Gesellschaften mit mehr als 250 Mitarbeitern sollen die vorgenannten Erleichterungen hingegen nicht gelten. Diese Gesellschaften müssen daher zwingend eigene Melde- und Untersuchungsstellen einrichten, die eingehende Hinweise unabhängig vom und außerhalb des zentralen Hinweisgebersystems bearbeiten können. Eine Ressourcenteilung soll bei diesen Gesellschaften ausdrücklich nicht möglich sein.
Untersuchung gesellschaftsübergreifender Hinweise
Für den Fall, dass eine Meldung auf einen gesellschaftsübergreifenden Verstoß hinweist, der eine Untersuchung auf Konzernebene erforderlich macht, hat die Kommission eine ganz eigene Lösung parat: Die weitere Bearbeitung und Aufklärung des Hinweises soll durch eine andere Stelle im Konzern – z.B. die zentrale Compliance-Abteilung – erfolgen dürfen.
Dies soll allerdings nur dann gelten, wenn der Hinweisgeber zuvor über die geplante Weiterleitung der Meldung informiert wurde und sein Einverständnis zur Abgabe erteilt. Ist der Hinweisgeber mit der Abgabe der Untersuchung hingegen nicht einverstanden, soll er seine Meldung „zurücknehmen″ und eine externe Meldung bei der zuständigen Behörde abgeben können.
Wie das Unternehmen mit der zurückgenommenen Meldung umzugehen hat, wird von der Kommission nicht weiter thematisiert. Dabei wirft diese Regelung gewichtige Fragen auf. Darf das Unternehmen trotz Rücknahme der Meldung intern ermitteln und muss es das nicht sogar? Die Hinweisgeberrichtlinie sowie die Stellungnahmen der Kommission schweigen hierzu.
Zentral, dezentral oder regional? Einmal alles, bitte!
Die Stellungnahmen der Kommission dürften viele Großunternehmen etwas ratlos zurücklassen. Klar ist, dass es für Konzerne mit Blick auf ihre in der EU ansässigen Tochtergesellschaften nicht mehr ausreichend sein wird, ausschließlich ein zentral organisiertes Hinweisgebersystem zu betreiben, sofern diese mehr als 50 Mitarbeiter beschäftigen.
Zwar mögen die erwähnten Erleichterungen für mittelgroße Tochtergesellschaften mit bis zu 249 Mitarbeitern die Situation für manche Unternehmen etwas entschärfen. Nichtsdestotrotz bedeutet die Positionierung der EU-Kommission für Unternehmen mit Konzernstrukturen einen erheblichen Mehraufwand bei der Neuorganisation ihrer Hinweisgebersysteme. Vielfach wird es erforderlich sein, Doppelstrukturen zu schaffen und zusätzliche personelle Ressourcen aufzubauen, um Meldungen nicht nur zentral oder regional, sondern auf Wunsch des Hinweisgebers auch dezentral in der jeweiligen Tochtergesellschaft entgegenzunehmen und bearbeiten zu können.
Es entsteht der Eindruck, als ob die Sichtweise der Kommission die Wirklichkeit in vielen Konzernen ausblendet. Insbesondere für Unternehmen mit gesellschaftsübergreifenden Matrixstrukturen sind diese neuen Vorgaben absolut unpraktikabel. Ob hierdurch die berechtigten Interessen der Hinweisgeber wirklich besser geschützt werden, ist fraglich.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Auffassung der Kommission in den noch ausstehenden nationalen Umsetzungsgesetzen zur Hinweisgeberrichtlinie Niederschlag finden wird und welche konkreten Risiken für Unternehmen im Fall einer abweichenden Gestaltung ihrer Hinweisgebersysteme bestehen. Eine Ausgestaltung, die nicht im Einklang mit den Vorgaben der Hinweisgeberrichtlinie steht, kann sich aber negativ auf die Reputation des Unternehmens auswirken und birgt zudem das Risiko, dass sich Hinweisgeber sogleich an die externe (staatlich betriebene) Meldestelle wenden, was sicherlich nicht im Unternehmensinteresse liegt.
Fazit: Unternehmen, die ein den Anforderungen der Hinweisgeberrichtlinie entsprechendes Hinweisgebersystem mit den Vorzügen einer zentralen oder regionalen Lösung kombinieren möchten, werden daher ihr bestehendes System ergänzen und die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten miteinander kombinieren müssen – einmal alles, bitte!
Die formale Einrichtung einer internen Meldestelle ist nur der erste Schritt – danach ist einiges zu tun, damit sie auch Akzeptanz im Unternehmen oder der Dienststelle findet.
Damit eine interne Meldestelle ihren Aufgaben nachkommen kann, muss sie bei den Beschäftigten Akzeptanz finden. Wie kann das erreicht werden?
Geeignete Unternehmenskultur
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Akzeptanz der internen Meldestelle ist eine Unternehmenskultur, in der die Abgabe von Hinweisen auf Fehlverhalten positiv bewertet wird. Nur dann haben die Beschäftigten das Gefühl, dass ihre Hinweisabgabe geschätzt wird und dass sie keinerlei Nachteile zu befürchten haben.
Das hört sich einerseits selbstverständlich an, doch die Praxis zeigt mitunter ein anderes Bild. So mussten hinweisgebende Personen persönliche Nachteile erleiden, weil ihr Hinweis nicht als Aufruf zur Klärung und Verbesserung einer Situation verstanden wurde, sondern als Denunziation. Verfestigt sich dieser Eindruck im Unternehmen oder der Dienststelle, wird bei der internen Meldestelle mit Sicherheit kein Hinweis mehr eingehen.
Die wohl wichtigste Maßnahme zur Erreichung einer geeigneten Unternehmenskultur ist die klare Kommunikationder obersten Führungsebene, dass Hinweise auf Fehlverhalten geschätzt werden, da nur so die Fehler abgestellt und Verbesserungen erzielt werden können. Diesem „Tone from the Top“ kommt daher eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die Akzeptanzerhöhung der internen Meldestelle zu.
Geeignete Beschäftigte in der internen Meldestelle
Von zentraler Bedeutung sind auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der internen Meldestelle. Zu Ihrem Kompetenzprofil gehören Verschwiegenheit, Durchsetzungsvermögen, Menschenkenntnis, Zuverlässigkeit, Finanz-Know-How, rechtliche Kenntnisse und Kenntnisse der Unternehmensprozesse.
Nur unter diesen Voraussetzungen werden die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der internen Meldestelle und damit die interne Meldestelle selbst Akzeptanz im Unternehmen oder der Dienststelle finden.
Geeignete Meldekanäle
Auch müssen die Meldekanäle so nutzerfreundlich gestaltet sein, damit die Hinweisabgabe nicht an technischen Hürden scheitert.
Dies gilt insbesondere für die webbasierte Hinweisabgabe. Das Hinweisgebersystem muss übersichtlich gestaltet sein, es muss eine klare, gut vorstrukturierte und einfache Führung durch den Hinweisabgabeprozess hinterlegt sein und das System muss sicher sein. Unbefugte dürfen sich keinen Zugriff auf die gemeldeten Inhalte im System verschaffen können.
Geeignete Kommunikation
Letztlich hängt die Akzeptanz der internen Meldestelle auch von einer geeigneten internen Kommunikation ab. Es muss in regelmäßigen Abständen die Existenz und die Wichtigkeit der internen Meldestelle kommuniziert werden. Dies kann wie bereits erwähnt erfolgen durch Botschaften der obersten Führungsebene, aber auch durch die Kommunikation des Nutzens eingegangener Meldungen und der daraufhin eingeleiteten nachfolgenden Verbesserungsmaßnahmen.
Zusammenfassung
Damit die interne Meldestelle im Unternehmen oder der Dienststelle Akzeptanz findet, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: eine passende Unternehmenskultur, qualifizierte Beschäftigte in der internen Meldestelle, technisch optimierte Meldekanäle und eine begleitende interne Kommunikation.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird die interne Meldestelle Akzeptanz im Unternehmen oder der Dienststelle finden und nur dann kann sie ihren Aufgaben gerecht werden.
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Stephan Rheinwald ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH und der Compliance Officer Services GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Hinweisgebersysteme: Was kann man aus Hinweisen lernen?
Gehen im Hinweisgebersystem der internen Meldestelle Hinweise auf Fehlverhalten ein, zeigt das, dass etwas nicht in Ordnung ist im Unternehmen oder der Dienststelle. Analysiert man die Hinweise professionell, lassen sich in vielen Fällen Schwachstellen in den Prozessen identifizieren. Kann man aus Hinweisen also etwas lernen?
Vor Fehlverhalten ist kein Unternehmen und keine Dienststelle gefeit. Die Ursachen für dieses Fehlverhalten sind jedoch völlig unterschiedlich. Entsprechend unterschiedlich sind die Lehren, die aus den Hinweisen auf Fehlverhalten sowie der Ursachenanalyse gezogen werden können.
Personelle Ursachen
Auch wenn alle Regelungen im Unternehmen oder der Dienststelle perfekt gefasst und kommuniziert sind – was bekanntlich eher selten der Fall ist – kann es zu Fehlverhalten kommen. Das liegt dann daran, dass sich einzelne Mitarbeiter schlichtweg nicht an die vorgegebenen Regelungen halten und z.B. Geschenke oberhalb einer festgelegten Wertgrenze annehmen, Datenschutzvorschriften nicht beachten oder einem nahen Angehörigen einen Firmenauftrag geben. Letzteres ist ein klassischer Interessenkonflikt.
Beim Nicht-Einhalten gegebener Regelungen lassen sich wiederum zwei Fälle unterscheiden. Erstens kann es sein, dass der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin die entsprechende Regelung schlichtweg nicht kannte. Konsequenz wird dann eine kurzfristige Schulungsmaßnahme sein. Schwerwiegender ist jedoch der zweite Fall: Fehlverhalten trotz Kenntnis der Regelungen! Hier müssen angemessene personelle Konsequenzen gezogen werden. In leichteren Fällen wird dies eine Verwarnung oder ein Verweis sein, in schwerwiegenden Fällen kann es unabdingbar sein eine Kündigung auszusprechen.
Es kann hilfreich sein, die personellen Konsequenzen – in anonymisierter Form – im Unternehmen bzw. der Dienststelle intern zu kommunizieren. Für die Belegschaft ergibt sich hieraus ein wichtiger Lerneffekt: Fehlverhalten wird nicht toleriert und angemessen sanktioniert! Dies wirkt sich auch positiv aus auf die Bereitschaft bei der internen Meldestelle Hinweise auf Fehlverhalten abzugeben. Zeigt es doch, dass Hinweise Konsequenzen haben und nicht einfach „abgeheftet werden“.
Prozessuale Ursachen
„Gelegenheit macht Diebe“, heißt es. In diesem Sinne kann es sein, dass fehlerhafte Prozesse Fehlverhalten begünstigen. Zwei einfache Beispiele:
Rechnungsprüfung und Zahlung erfolgt nicht nach dem Vier-Augen-Prinzip. Hier wird Betrug durch bewusste Falschüberweisungen offensichtlich Tür und Tor geöffnet.
Ein zweites Beispiel: Aus dem Lager werden in einem kurzen Zeitraum in nennenswertem Umfang Druckerpatronen gestohlen. Dies kann nur erfolgen, wenn der Prozess der Lagerhaltung nicht optimiert ist.
Jeder Hinweis auf Fehlverhalten muss also daraufhin analysiert werden, ob prozessuale Schwachstellen das Fehlverhalten begünstigt haben. Sind die Schwachstellen identifiziert, müssen Maßnahmen aufgesetzt werden, die die Schwachstellen kurzfristig beseitigen. Zielsetzung muss es ja sein ähnlich gelagertes Fehlverhalten in der Zukunft zu verhindern oder zumindest deutlich zu erschweren. Wenn dies gelingt ist neben dem Schaden aus dem Fehlverhalten zumindest ein positiver Lerneffekt eingetreten.
Zusammenfassung
Fehlverhalten schadet dem Unternehmen oder der Dienststelle, aber wenn es über ein Hinweisgebersystem gemeldet wird, eröffnet sich bei professioneller Ursachenanalyse und nachfolgender Maßnahmenumsetzung die Möglichkeit etwaige Prozessschwächen zu erkennen und zu beseitigen.
In diesem Sinne leistet die interne Meldestelle einen wichtigen Beitrag, weiteren Schaden aus Fehlverhalten zu vermeiden bzw. zumindest zu minimieren.
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Folgemaßnahmen im Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG)
Beschäftigungsgeber mit mehr als 250 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen müssen laut dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) ab dem 17.12.2021 eine interne Meldestelle einrichten. Zusätzlich werden auf Bundes- und Landesebene externe Meldestellen eingerichtet. Eine der Aufgaben dieser Meldestellen ist es, bei Meldungen sogenannte Folgemaßnahmen zu ergreifen. Aber was ist das genau?
Der Referentenentwurf des HinSchG thematisiert an unterschiedlichen Stellen die zu ergreifenden Folgemaßnahmen:
§ 17 des Referentenentwurfes zum Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) regelt das Verfahren beim Eingang interner Meldungen. Die interne Meldestelle
bestätigt der hinweisgebenden Person den Eingang der Meldung spätestens nach sieben Tagen,
hält mit der hinweisgebenden Person Kontakt,
prüft die Stichhaltigkeit der eingegangenen Meldung,
ersucht die hinweisgebende Person erforderlichenfalls um weitere Informationen und ergreift angemessene Folgemaßnahmen.
§ 18 befasst sich dann ausschließlich mit den Folgemaßnahmen. Dies können insbesondere sein
interne Untersuchungen durchführen sowie betroffene Personen und Arbeitseinheiten kontaktieren; hier geht es also darum, nach der initialen Stichhaltigkeitsprüfung den Sachverhalt detailliert aufzuklären und die hierzu erforderlichen Informationen einzuholen,
die hinweisgebende Person an andere zuständige Stellen verweisen; dies ist z.B. dann erforderlich, wenn Meldungen eingehen, die nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes fallen,
das Verfahren aus Mangel an Beweisen oder aus anderen Gründen abschließen; sollte sich also der Sachverhalt trotz interner Untersuchungen nicht aufklären lassen oder stellt sich heraus, dass der gemeldete Sachverhalt nicht zutreffend war, dann ist das Verfahren einzustellen,
das Verfahren an eine zuständige Behörde zwecks weiterer Untersuchungen abgeben; dies ist sinnvoll, wenn der Sachverhalt im Rahmen interner Ermittlungen nicht aufzuklären ist, dies aber einer Behörde mit umfassenderen Ermittlungsbefugnissen gelingen könnte.
Interessant ist, was das Gesetz nicht unter Folgemaßnahmen versteht. Es sind dies Sanktionen und all die Maßnahmen, die implementiert werden müssen, damit sich ein ähnlich gelagerter Fall nicht in Kürze wiederholt. In der Praxis ist hier etwa zu denken an Kündigungen oder Schulungen. Dies sieht das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) offensichtlich nicht mehr in der Zuständigkeit der internen Meldestelle. Es muss dann aber klar geregelt sein, wer bzw. welche Abteilung hierfür verantwortlich ist. Der Anstoß hierzu kann aber prozessbedingt eigentlich nur von der internen Meldestelle kommen.
Folgemaßnahmen der externen Meldestelle
Drei der vier der in § 28 aufgeführten Folgemaßnahmen der externen Meldestellesind identisch mit Folgemaßnahmen der internen Meldestelle:
die hinweisgebende Person an andere zuständige Stellen verweisen,
das Verfahren aus Mangel an Beweisen oder aus anderen Gründen abschließen und
das Verfahren an eine zuständige Behörde zwecks weiterer Untersuchungen abgeben.
Die Folgemaßnahme „Interne Untersuchungen durchführen“ ist bei einer externen Meldestelle jedoch nicht umsetzbar. Sie wird wie folgt ersetzt:
Die externe Meldestelle kann nach pflichtgemäßem Ermessen Auskünfte von den betroffenen natürlichen Personen, von dem betroffenen Beschäftigungsgeber oder der betroffenen Dienststelle, von dritten und von Behörden verlangen, soweit dies zur Überprüfung der Stichhaltigkeit erforderlich ist.
Ergänzend wird geregelt, dass für die Beantwortung des Auskunftsverlangens eine angemessene Frist einzuräumen ist, dass im Einklang mit der Strafprozessordnung das Zeugnis- und das Auskunftsverweigerungsrecht gelten und dass auf Antrag eine finanzielle Entschädigung von Zeugen gezahlt werden kann.
Im Unterschied zur internen Meldestelle wird für die externe Meldestelle in § 30 des Referentenentwurfs zum Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) der Abschluss des Verfahrens geregelt:
Weiterleitung an die jeweilige für Aufklärung, Verhütung und Verfolgung des Verstoßes zuständige Stelle, falls die externe Meldestelle nicht zuständig ist oder es ihr unmöglich ist, dem gemeldeten Verstoß weiter nachzugehen;
bei Geringfügigkeit Einstellung des Verfahrens;
dies ebenso, wenn keine neuen Tatsachen gemeldet werden.
Die hinweisgebende Person ist über den Ausgang des Verfahrens zu informieren.
Ähnlich wie bei der internen Meldestelle thematisiert das Gesetz auch bei der externen Meldestelle nicht detailliert, was zu tun ist, wenn ein Sachverhalt von der externen Meldestelle eigenständig aufgeklärt werden kann. Zu denken ist hier etwa an die Information der Beschäftigungsgeber, der betroffenen Personen oder ggfs. der Strafverfolgungsbehörden.
Zur Bedeutung von Folgemaßnahmen im Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG)
In der Praxis kann die Bedeutung der Maßnahmen, die zur Sanktion des Fehlverhaltens oder zur Vermeidung künftigen Fehlverhaltens ergriffen werden, nicht überschätzt werden. Die Schäden aus Fehlverhalten für Finanzen und Reputation des Unternehmens oder der Dienststelle können groß sein. Daher sollte es zumindest das Ziel sein, aus den Fehlern zu lernen und durch angemessene Maßnahmen, wie z.B. Schulungen, neuen Regelungen bzw. Richtlinien und in schwerwiegenden Fällen auch personellen Maßnahmen künftiges Fehlverhalten zu verhindern oder doch zumindest deutlich zu erschweren.
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Stephan Rheinwald ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH und der Compliance Officer Services GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
Dr. Martin Walter, geschäftsführender Gesellschafter der Hinweisgebersystem24 GmbH, gehört dem Fachbeirat der Online-Zeitschrift Compliance an. In der Ausgabe Juli/ August 2021 erläutert Dr. Quast von der Sozietät Hengeler Mueller den aktuellen Stand der Diskussion, ob ein Hinweisgebersystem im Konzern im Einklang mit der EU-Directive zum Hinweisgeberschutz zumindest teilweise dezentralisiert werden müssen.
Im Kern geht es um die Frage, ob die heute in Konzernstrukturen vielfach zentral organisierten Hinweisgebersysteme zumindest teilweise dezentralisiert werden müssen. Dies legt jedenfalls ein Schreiben der EU-Kommission von Anfang Juni nahe. Nach Auffassung der Kommission verlange die Richtlinie auch in Konzernstrukturen, dass jedes Konzernunternehmen mit mehr als 249 Mitarbeitern grundsätzlich über ein eigenes Hinweisgebersystem verfügen muss.
Eigenes Hinweisgebersystem im Konzern
Es soll zwar zulässig sein, dass im Einzelfall Dritte den Berichtskanal für das Unternehmen betreiben. Der Dritte sei dann jedoch darauf beschränkt, den Hinweis entgegenzunehmen und dessen Eingang gegenüber dem Hinweisgeber zu bestätigen. Sämtliche Folgemaßnahmen (Aufklärung etc.) müssten jedoch durch die zuständigen Stellen innerhalb des Konzernunternehmens, d.h. dezentral erfolgen. Die Ergebnisse der Aufklärungsmaßnahmen dürften dann nachträglich mit der Konzernmutter geteilt werden.
Zentrales Hinweisgebersystem
Gleichzeitig sollen jedoch zentral betriebene Hinweisgebersysteme nicht ausgeschlossen sein. Es stehe den Unternehmen vielmehr frei, zusätzlich auch zentrale Hinweisgebersysteme auf Ebene der Konzernmutter zu betreiben. Sollte ein Hinweisgeber aus einem Konzernunternehmen das zentrale Hinweisgebersystem nutzen, sollten die Hinweise dort entgegengenommen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen ergriffen werden. In dezentral gemeldeten Sachverhalten, die strukturelle Probleme erkennen ließen, mehrere Konzernunternehmen beträfen oder einen grenzüberschreitenden Aufklärungsansatz erforderten, soll es zudem zulässig sein, den Hinweis nach vorheriger Einwilligung des Hinweisgebers an die zentrale Compliance-Funktion weiterzugeben.
Es läge an den Unternehmen, durch entsprechende Regelwerke Vertrauen in das zentrale Hinweisgebersystem zu schaffen. Informationskampagnen etc. könnten dazu beitragen, dass Hinweisgeber von vornherein das zentrale Hinweisgebersystem nutzen. Diese Auslegung der EU-Kommission würde indes die Wirksamkeit der vorhanden Compliance-Management-Systeme schwächen und zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand führen. Gerade der europäische Normgeber nimmt bei Compliance-Pflichten und Haftungsfolgen von Compliance-Verstößen immer stärker auch verbundene Unternehmen in den Blick. Entsprechendes gilt für die deutsche Rechtspraxis, die zunehmend eine Konzernverantwortung betont.
Nachteile einer Dezentralisierung
Würden nun lediglich die Ergebnisse der dezentral durchgeführten Folgemaßnahmen – u.U. mit erheblichem Zeitversatz – an die zentrale Compliance-Funktion gemeldet, würde dies die Wahrnehmung einer möglichen Konzernverantwortung deutlich erschweren. Es wäre gerade vor diesem Hintergrund nicht überzeugend, die Weiterleitung des Hinweises an die zentrale Compliance-Funktion selbst bei Hinweisen auf strukturelle Probleme von der Einwilligung des Hinweisgebers abhängig zu machen. Diese Auslegung würde auch nicht zu einem höheren Schutzniveau für Hinweisgeber oder zu effektiveren Aufklärungsmaßnahmen führen. Je kleiner das Konzernunternehmen ist, das den Hinweis erhält und Folgemaßnahmen ergreifen muss, desto höher ist das Risiko für den Hinweisgeber, unbeabsichtigt identifiziert zu werden.
Die Aufklärungsmaßnahmen ausschließlich dezentral auf Ebene des Konzernunternehmens zu konzentrieren, erschwert aufgrund der typischen Berichtsstrukturen angemessene Folgemaßnahmen durch eine unabhängige Stelle. Dies gilt insbesondere, falls Leitungsorgane des Konzernunternehmens betroffen sein können.
Zugang zu Hinweiskanal
Die EU-Kommission betont demgegenüber die Notwendigkeit niedrigschwelliger Angebote zur Meldung vor Ort und das Recht des Hinweisgebers auf physische Treffen. Dies steht jedoch einem zentral betriebenen Hinweisgebersystem nicht entgegen. Auch in einem zentral betriebenen System ist selbstverständlich, dass der Hinweiskanal für jeden Mitarbeiter der Konzerngesellschaften vor Ort leicht zugänglich ist und persönliche Treffen mit Compliance-Verantwortlichen erfolgen können.
Die nächsten Monate bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist im Dezember werden zeigen, ob die derzeitigen Bemühungen der großen europäischen Unternehmen und Verbände erfolgreich sein werden, die Kommission und die nationalen Gesetzgeber für eine flexiblere Lösung zu gewinnen, die ohne unnötigen bürokratischen Mehraufwand ein hohes Schutzniveau für Hinweisgeber herstellt.
Post by Martin Walter
Martin Walter ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
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