Pav Gill hat als Whistleblower den Wirecard-Skandal an die Öffentlichkeit gebracht. Wäre der Whistleblower vom Hinweisgeberschutzgesetz geschützt worden?
Das Drama um Wirecard begann im Jahr 2015, als die britische Financial Times (FT) einen kritischen Artikel über den Zahlungsdienstleister veröffentlichte. Das Geschäftsmodell von Wirecard war es, den digitalen Zahlungsstrom zwischen Händlern und Millionen von Kunden zu ermöglichen. Anfang 2019 häuften sich kritische Berichte der FT. Im Visier stand das Geschäft von Wirecard in Singapur. Dort seien Verträge gefälscht und Geldwäsche betrieben worden. Die Financial Times berichtete weiter, dass eine von Wirecard beauftragte externe Anwaltskanzlei bei einer Prüfung der Niederlassung in Singapur Belege für schwere Straftaten gefunden habe. Konkret soll es um gefälschte Rechnungen und um Bilanzfälschung gegangen sein. Zudem gebe es Dokumente, die belegen, dass Führungskräfte in Deutschland von den Machenschaften Kenntnis gehabt hätten.
Zu diesem Zeitpunkt war Pav Gill, der spätere Whistleblower im Fall Wirecard, bereits als Senior Legal Counsel für die Asien-Pazifik-Region im Unternehmen tätig.
Dort trat er in Kontakt mit einer internen Informantin, die ihm umfangreiches Material zur Verfügung stellte, darunter gefälschte Rechnungen und Kontoauszüge, die Zahlungen an Firmen dokumentierten, mit denen Wirecard keinerlei Geschäftsbeziehungen unterhielt.
Daraufhin wandte sich Gill mithilfe eines Kollegen, der bei Wirecard für Compliance zuständig war, an die Konzernzentrale in Aschheim bei München. Mithilfe einer externen Anwaltskanzlei kam es zu internen Untersuchungen. Infolgedessen bestätigten sich vermehrt die Anschuldigungen, zu Konsequenzen kam es dennoch nicht. Gill habe man gesagt, dass Jan Marsalek, damals Vorstandsmitglied von Wirecard, den Fall übernehmen werde. Aber gerade gegen ihn bestanden Verdachtsmomente, sodass er gegen sich selbst hätte ermitteln müssen.
Daraufhin wurde Gill bedroht und vor die Wahl gestellt entweder selbst zu kündigen und positive Referenzen zu erhalten oder entlassen zu werden. Gill entschied sich dazu Wirecard zu verlassen. Trotz seiner Kündigung fühlte er sich weiterhin bedroht.
Schließlich wandte sich Pav Gill an den FT Journalisten Dan McCrum, der zuvor bereits kritisch über Wirecard berichtet hatte und stellte ihm belastende Unterlagen zur Verfügung, die Gill nach seiner Kündigung mitgenommen hatte. Am 30. Januar 2019 erschien jener inzwischen berühmte Financial Times Artikel, der Ungereimtheiten bei Wirecard in Singapur thematisierte und den Aktienkurs einbrechen ließ.
Im Februar 2019 gab die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eine Sonderprüfung in Auftrag. Auch die Wirtschaftsprüfung KPMG untersucht den Zahlungsdienstleister, wobei sie auf weitere Ungereimtheiten stieß. Anfang 2020 wurde die Luft für Wirecard merklich dünner. Das Unternehmen konnte keine plausiblen Belege dafür finden, dass es Konten in Asien gab, auf denen fast 2 Milliarden Euro liegen sollten. Im Juni 2020 wurde der Firmensitz in Aschheim schließlich von der Staatsanwaltschaft München durchsucht. Am 25.06.2020 meldet Wirecard Insolvenz wegen eines 1,9 Milliarden Euro schweren Lochs in der Bilanz an.
Der ehemalige Vorstandschef Markus Braun sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Das ehemalige Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist untergetaucht.
Rechtliche Bewertung nach dem Hinweisgeberschutzgesetz:
Nachfolgend soll dargestellt werden, ob das derzeit im Referentenentwurf vorliegende Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) – wenn es im Jahr 2020 schon in Kraft gewesen wäre – Pav Gill vor Repressalien geschützt hätte.
Als hinweisgebende Person fällt Pav Gill in den persönlichen Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG).
Zurzeit diskutieren die Regierungsparteien, in welcher Form das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft treten soll. Besonders umstritten ist, ob sich das Gesetz nur auf Meldungen über Verstöße gegen EU-Recht bezieht oder ob auch Verstöße gegen deutsches Recht miteinbezogen werden. Würde bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 17. Dezember 2021 entschieden werden, dass sich Meldungen über Verstöße nur auf EU-Recht beziehen müssen, so wäre Pav Gill trotzdemgeschützt. Gegen Wirecard bestanden auch Vorwürfe gegen Geldwäsche. Diese wären nach der EU-Geldwäscherichtlinie vom Schutzgedanken der EU-Directive Whistleblowing umfasst. Der aktuelle Referentenentwurf sieht eine Ausweitung auf deutsches Recht vor. Gemäß § 2 HinSchG Abs. 1 werden Meldungen über Verstöße, die straf- oder bußgeldbewehrt sind, sowie sonstige Verstöße gegen Gesetze des Bundes und der Länder, geschützt. Danach fällt Pav Gill auch unter diesem Aspekt unter den Schutz des Gesetzes.
In § 3 des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) wird definiert, dass das Bereitstellen von Informationen über Verstöße gegenüber der Öffentlichkeit als Offenlegung bezeichnet wird. Gill wandte sich an den Journalisten Dan McCrum der FT und übermittelte ihm Informationen über Verstöße durch Wirecard. Er hat die Informationen über das Fehlverhalten bei Wirecard also offengelegt. Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) schützt jedoch bei einer Offenlegung nur dann die hinweisgebende Person, wenn diese sich zuvor an eine externe Meldestelle gewandt hat. Dies hat Pav Gill nicht getan (logischerweise, denn 2020 gab es ja noch keine externe Meldestelle). Er wandte sich lediglich an Personen im Unternehmen. Zur Erfüllung der Schutzvoraussetzung reicht dies jedoch ausdrücklich nicht aus. Pav Gill wäre also nicht unter die Schutzvoraussetzungen des HinSchG gefallen.
Einen Ausweg könnte ggfs. § 31 HinSchG bieten. Gemäß § 31 Nr. 2a HinSchG fällt die hinweisgebende Person trotz Offenlegung ohne vorherigen Kontakt zu einer externen Meldestelle unter die Schutzvoraussetzungen des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG), sobald „Gefahr im Verzug“ besteht, die hinweisgebende Person also hinreichend Grund zur Annahme hatte, dass der Verstoß eine unmittelbare Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellt. Hätte also Pav Gill glaubhaft machen können, dass Gefahr im Verzug gemäß § 31 Nr. 2a HinSchG bestand, wäre er unter den Schutz des Gesetzes gefallen.
Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) geht in § 35 auf das Verbot von Repressalienein. Bereits die Androhung Repressalien auszuführen ist untersagt. Vorliegend wurde Pav Gill die Kündigung angedroht. Damit hätte die Wirecard AG gemäß § 39 I Nr. 3 ordnungswidrig gehandelt und wäre gemäß § 39 Abs. 4 mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 Euro sanktioniert worden.
Abschließend eine Anmerkung:
Betrachtet man den durch den Wirecard-Skandal hervorgerufenen Schaden, stellt sich die Frage, ob die im HinSchG für Repressalien vorgesehene maximale Bußgeldhöhe von 100.000 Euro nicht zu niedrig ist.
Wenn Sie sich über dieses Thema weiter informieren möchten, hören Sie gerne unseren Podcast WHISTLEpedia. Er ist bei iTunes, Spotify, Youtube oder direkt hier auf der Seite kostenlos hörbar.
Stephan Rheinwald ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Hinweisgebersystem24 GmbH und der Compliance Officer Services GmbH. Er schreibt diesen Blog für Einsteiger und Fortgeschrittene, die sich näher über Hinweisgebersysteme und interne Meldestellen informieren wollen.
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